Kein Orden fürs Theater

Am 1. Oktober sollten Thomas Rühmann und Tobias Morgenstern für ihre langjährige Arbeit am Theater am Rand mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet werden. Dazu ist es nicht gekommen. Drei Tage vor der Verleihung wurden die beiden wieder ausgeladen. Tobias Morgenstern wurde telefonisch mitgeteilt, die Absage hänge mit seinen kritischen Äußerungen vor anderthalb Jahren zusammen. Den Medien sagte das Bundespräsidialamt, es seien konkrete Hinweise bekanntgeworden, dass Morgenstern sich der Querdenker-Bewegung angeschlossen habe.

Natürlich bedauern wir diesen Rückzieher. Eine so hohe Würdigung der Theaterarbeit hätte uns allen Auftrieb gegeben. Diese Arbeit aber ist nicht denkbar ohne eine kritische Grundhaltung. Und eben die hat gerade Tobias Morgenstern immer wieder eingebracht. Mit seinem freien, unkonventionellen Denken und seiner visionären, manchmal auch radikalen Herangehensweise hat er dem Theater wichtige Impulse gegeben. In alle künstlerischen Produktionen des Hauses ist sein kritisches Denken, sein Quer-Denken im besten Sinne, eingeflossen. Ohne ihn wäre unser Haus nicht so eigenwillig gebaut, ohne rechte Winkel, mit Solarturm und Drachenkamm. Er hat Randthemen zu Klima und nachhaltiger Landnutzung oder zur Finanzwirtschaft angeregt, als es noch nicht en vouge und in aller Munde war.

Als im Frühjahr 2020 die Corona-Maßnahmen so vieles veränderten, wir wie alle anderen Theater nicht spielen durften, von Spenden und staatlicher Unterstützung abhängig wurden, provozierte das naturgemäß verschiedene Haltungen: Widerspruch bei Tobias Morgenstern, Verständnis bei Thomas Rühmann. Auch in der in der Belegschaft gab und gibt es unterschiedliche Sichtweisen. Das haben wir ausgehalten, miteinander gesprochen. Die Meinung der Anderen akzeptiert und gelten lassen. Das bedeutet für uns Respekt. Das fordert Toleranz.

Die Konflikte zum Thema gären überall. Zerwürfnisse, Spaltung allerorten. Nur selten wird mit Anstand darüber kommuniziert, entsteht eine Diskussion. Vorherrschend ist die Tendenz zu Pauschalurteilen und Schubladendenken. Das macht das Streiten um Inhalte, einen Austausch von Argumenten immer schwieriger.

Und das sehen wir leider auch an dieser Stelle. Wir können nicht nachvollziehen, dass Theaterleute eine Auszeichnung ihrer Kunst und ihres Lebenswerkes nicht bekommen, weil sie zu bestimmten Themen eine kritische Meinung äußern. Wir wünschen uns eine Gesellschaft, die unterschiedliche, und auch kritische Auffassungen zum Zeitgeschehen gelten lässt – überall, und ganz besonders in der Kunst. Das sollte man in einer Demokratie erwarten dürfen.

Wir machen weiter. Mit oder ohne Orden.

Almut Undisz
Geschäftsführerin

Medienbeiträge zum Thema finden Sie hier.

Im Folgenden veröffentlichen wir einige Reaktionen, die uns wichtig sind:

Gilt die Vereinbarung noch?

Vor knapp vier Jahren folgte ich einer Einladung zum Neujahrsempfang des Bundespräsidenten. Es war eine Anerkennung und Auszeichnung, und ich freute mich darüber. Mir gefiel die schlichte Ausstattung im Schloss Bellevue, der eher nüchterne, egalitäre Stil. Der Bundespräsident erwies sich als hervorragender Gastgeber und Gesprächspartner. Ich bin geborener Ostdeutscher, und dieser Tag war vielleicht der Höhepunkt meines guten Lebensgefühls als Bürger der Bundesrepublik Deutschland. Denn ich hatte oft erlebt, dass die Kommunikation zwischen den Ebenen dieser Republik recht durchlässig war, sodass man mit seinen Ideen Zugang zur Kommunal- und Landes- oder sogar zur Bundespolitik finden konnte. Und ich verstand die demokratische Vereinbarung dieses Landes so, dass alle etwas zum Gelingen dieser Gesellschaft beitragen können, auch dann, wenn sie unterschiedlicher Auffassung sind – und natürlich vollkommen unabhängig davon, welche Entscheidungen sie für ihre Gesundheit treffen.

Die höchsten Repräsentanten dieses Landes verkörperten für mich das Vertrauen in diese Vereinbarung. Ich fühlte mich deshalb sicher und aufgehoben.

Gilt diese Vereinbarung noch? Die letzten Monate lassen mich zweifeln. Als jemand, der angesichts der Corona-Politik von Anfang an Sorge empfunden und Kritik ausgesprochen hat, sehe ich mich plötzlich allein gelassen. Es ist so, als schütze einen niemand mehr vor der heftigen Einmütigkeit, die in dieser Zeit zwischen den Gewalten des Staates entstand. Für Menschen, die diese Politik gutheißen, ist das wahrscheinlich kaum spürbar. Aber ich weiß aus vielen Gesprächen, dass es für jene, denen diese Zustimmung verwehrt ist, eine wirklich schlimme Zeit ist.

Seit zwanzig Jahren arbeite ich mit Tobias Morgenstern zusammen. Wir haben uns oft gestritten, und ja: Seine Vehemenz in manchen Dingen ist eine Herausforderung. Aber ich verdanke ihm und dem Theater am Rand viel. Ich hätte weniger erreicht, wenn ich nicht den Resonanzboden und die Inspiration dieses Hauses hätte nutzen können. Und das Oderbruch als Region stünde ohne ihn auch nicht da, wo es jetzt steht.

Warum hat Morgenstern nun, da auch er längst in diesen tiefen Konflikt unserer Gesellschaft geraten war, das in Aussicht gestellte Bundesverdienstkreuz nicht von vornherein ausgeschlagen? Man könnte abschätzig vermuten, er wollte vielleicht trotz allem einmal eine hohe Anerkennung genießen. Aber ich glaube nicht, dass das ausschlaggebend war. Mir scheint vielmehr, dass er die genannte Vereinbarung, die unsere Gesellschaft zusammenhält, nicht durch eine Absage aufkündigen wollte: Alle können etwas beitragen.

Nun hat aber der Bundespräsident, wie vor ihm schon viele Journalisten und Politiker, diese Vereinbarung aufgekündigt. Nicht einmal in diplomatischer Diskretion, sondern mit Ansage. Ein trauriger Tag, dieser 31. Tag der deutschen Einheit!

Dr. Kenneth Anders
Kulturmanager und Autor
Leiter des Oderbruch Museums Altranft

Verdienstkreuz nur für Linientreue?

Die Meldung vom verhinderten Bundesverdienstkreuz hat sich schnell in unseren Kreisen verbreitet. Wir sind schockiert über diese Propaganda-Inszenierung.

Ohne Tobias’ queres Denken im Sinne von vor 2020 gebe es DIESES Theater nicht.

Künstler sind Botschafter des freien Denkens und kritisches Interpretieren ist ein wesentlicher Teil des Auftrages in der Kunst. Was hat das Bundesverdienstkreuz für einen Wert, wenn es nicht der Sache wegen, sondern nur an linientreue Mitmenschen vergeben wird?

Unsere Demokratie, welche wir selbst vor über 30 Jahren aktiv und risikobereit mit erkämpft haben bewegt sich wieder zurück in unrühmliche Zeiten. Oder ist es das neue Demokratieverständnis? Auf alle Fälle habe ich ein Deja-vu und muss an meine Zeit als „politisch unreife Schülerin“ denken, der als Pfarrerstochter und Nicht-FDJlerin, also „Klassengegnerin“, trotz Einser-Durchschnitt der Zugang zu Abitur und Hochschulstudium verwehrt blieb.

Die Indoktrination, welche uns Nachdenkende momentan täglich erreichen soll, ist kaum noch zu ertragen.

Wir, unsere Familie und Freunde, wissen in welche Richtung Tobias’ Herz schlägt, nämlich sozial und ernsthaft grün und verurteilen somit zutiefst, dass dein demokratisches Recht auf freies Denken für übelste Propaganda missbraucht wird!

Auszüge aus einem Brief von Familie Heide

Das Theater braucht keinen Orden

Sie alle zeichnet Ihr Publikum aus: mit der empfundenen Freude, mit der Zuneigung, mit der Anerkennung und mit der Treue. Sie alle haben das Bundesverdienstkreuz sicherlich vielmehr verdient als manch Ordensträger, aber Sie benötigen es nicht!

Ihr Publikum verleiht Ihnen sicher tausendfach die Orden der Freude des Herzens, den Stern der Zuversicht, den Orden für Humanismus, das Licht der Aufklärung und die wärmende Sonne der Empathie für alle am Rande.

Es ist unerträglich und Befürchtungen für noch Schlimmeres in der Zukunft weckend, wahrzunehmen, was da im RBB über die Motivation des Bundespräsidialamtes geäußert wurde. Bleiben Sie alle, wie Sie sind, bleiben Sie kreativ, kritisch, künstlerisch aktiv und Freude, Kraft und Zuversicht vermittelnd.

In dem US-amerikanischen Film „Eine Frage der Ehre“ heißt es in einer Szene in Bezug auf degradierte Soldaten: Sie brauchen keine Abzeichen, um Ehre zu haben. Das Theater am Rand braucht keinen Bundesverdienstkreuzträger, aber die Menschen brauchen das Theater am Rand.

Auszüge aus einem Brief von Familie Haferkorn

Haltet durch, wenn’s irgendwie geht

Das Bundesverdienstkreuz wäre nicht nur eine Würdigung der Kraft und Energie gewesen, welche Tobias Morgenstern und Thomas Rühmann zusammen mit allen Beteiligten (Mitarbeitern wie Künstlern) in den Aufbau und die Entwicklung dieses einmaligen Theaters gesteckt haben. Es wäre auch die lange fällige Anerkennung für Menschen gewesen die gerade „am Rand“ Blühendes geschafft haben.

Dies sollte Bundespräsident Steinmeier bedenken, wenn er wieder im pastoralen Predigerton die Menschen auffordert, keine Spaltung der Gesellschaft zuzulassen. Gerade das hat er jetzt mit seiner Entscheidung nicht getan, sondern eher befördert. Was wäre denn aus der auch von ihm vielgelobten friedlichen Bewegung 1989 geworden, ohne Querdenker?!

Nötig ist gerade jetzt eine Ermutigung von Andersdenkenden, sich einzubringen in die dringend erforderlichen Veränderungen, welche unsere Gesellschaf braucht.

Wie hat doch der im besten Sinne querdenkende Liedermacher Gerhard Gundermann getextet: Halte(t) durch, wenn’s irgendwie geht ...

Auszüge aus einem Brief von Stefan Eichler

Ein Bärendienst

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

Ihre Entscheidung, Tobias Morgenstern das vorgesehene Bundesverdienstkreuz nicht zu verleihen, hat uns erschüttert.

Tobias Morgenstern hat sich kritisch zu Entscheidungen der Bundesregierung geäußert. Er hat nicht zu Straftaten aufgerufen, er hat nicht unsere Demokratie in Frage gestellt, er hat keine Verschwörungstheorien verbreitet. Er hat eine eigene Meinung zu den Corona-Maßnahmen und wird deshalb als nicht ordenswürdig angesehen. Das ist eine für uns unverständliche Entscheidung.

Mit dieser Entscheidung haben Sie Ihre Äußerungen zu einer lebhaften Demokratie, zu einer lebendigen Streitkultur, zu Vielfalt in unserem Land ad absurdum geführt.

Sie haben der Abwehr von Verschwörungstheoretikern und Demokratiefeinden einen Bärendienst erwiesen, da die Vorgänge um Tobias Morgenstern natürlich perfekt alle Opfer-Narrative dieser gefährlichen Strömungen bedienen.

Und schließlich haben Sie in einer Situation, in der Sie und andere zu Recht beschwören, dass unser Land mehr Zusammenhalt und Gemeinsamkeit braucht, in einer Situation, die von Zersplitterung und sozialen Zerwürfnissen geprägt ist, von höchster Stelle aus einen weiteren Spaltpilz in die Welt gebracht. Nicht nur in die Gesellschaft sondern auch in eine Institution, die ja nach Ihrer Meinung aufgrund ihrer kulturellen Leistungen ordenswürdig ist.

Wir hoffen sehr, dass es Ihnen gelingen möge, aus diesem Entscheidungs- und Kommunikationsdesaster gemeinsam mit dem Theater am Rand einen versöhnlichen und verbindenden Impuls in unser Land hinein zu entwickeln.

Brief von Bernd Himstedt-Kämpfer & Florian Himstedt